Die Innenstadt stirbt – oder? Wie Kommunen auch im digitalen Zeitalter überleben können
«Kommt Kinder, wir gehen in die Stadt!» Wenn uns unsere Eltern früher in die Stadt mitnahmen, waren gute Laune, leckeres Eis und so manch freudige Überraschung in den vielen bunten Geschäften garantiert. Überall waren Menschen, an jeder Ecke gab es etwas zu entdecken. Markthändler präsentierten frisches Ost und leckeres Gemüse, beim Fleischer gab es regelmässig eine Scheibe Gelbwurst, die bunten Schaufenster der kleinen Einzelhändler warben mit verführerischen Produkten und einem einzigartigen Angebot. Der Ausflug in die Stadt war für Eltern und Kinder gleichermassen ein Erlebnis.
Längst ist es ruhig geworden in den Zentren. Die früheren inhabergeführten Fachgeschäfte, die unsere Innenstädte so unverwechselbar gemacht haben, sind den immer gleich aussehenden Filialen von Einzelhandelsketten gewichen. Wo sich früher Textil- und Haushaltswarengeschäfte befanden, haben längst 1-Euro-Stores und Fast-Food-Restaurants Einzug gehalten. Die freundlichen Markthändler, die mit ihren bunten und so lecker riechenden Frischwaren Farbe in die Stadt gebracht haben, sind von Jahr zu Jahr weniger geworden. Heute findet man dort nur noch selten einen Obsthändler. Das nette Geschäft an der Ecke, wo es für die Kinder jedes Mal einen Lolli gab, steht schon seit Jahren leer und der damals schier endlose Strom der Menschenmassen ist in den vergangenen Jahren immer mehr versiegt, wie ein Fluss ohne Regen. Wir fahren schon lange nicht mehr «einfach so» in die Stadt, um uns treiben zu lassen. Unsere Einkäufe tätigen wir entweder im Einkaufszentrum vor den Toren der Stadt, auf der sogenannten grünen Wiese, beim Discounter um die Ecke oder gleich im Internet.
Vieles hat sich verändert. Einkaufen ist beliebig geworden und von jedem Punkt der Welt aus und zu jeder Zeit gleichermassen möglich. Mit unserem Handeln haben wir in den vergangenen Jahren massgeblich dazu beigetragen, dass sich die Einkaufslandschaft zunehmend gewandelt hat. Wir brauchen deshalb, wenn es um den Erhalt unserer Innenstädte geht, auch nicht auf die zugegebenermassen oftmals entscheidungsschwachen, rückwärtsgewandten, verkrusteten und selbstherrlichen Führungsstrukturen in den Kommunen zu schimpfen. Nicht die Politiker, nicht die Verwaltung, sondern wir selbst sind für den Wandel in unseren Innenstädten verantwortlich. Und mit jedem Euro, den wir im Internet ausgeben, den wir online bei Amazon, Zalando und Co. vermeintlich sparen, treiben wir einen weiteren kleinen Nagel in den Sarg unserer Innenstädte. Waren es also zu Beginn die grossen Einkaufsmärkte und modernen Discounter, welche den Stadtzentren zugesetzt haben, drohen nunmehr der wachsende Onlinehandel und die Ignoranz der Verbraucher zu den eigentlichen Totengräbern unserer Innenstädte zu werden.
Wächst der Onlinehandel weiter wie bisher, droht bis 2020 jedem fünften Geschäft die Schliessung. Das sind alleine in Deutschland über 90’000 Läden. Und wenn uns auch Politiker aller Couleur, insbesondere in Wahlkampfzeiten, die Stärkung unserer Innenstädte versprechen, sehen die Realitäten in Deutschland längst ganz anders aus. Die Symptome einer kranken Stadt sind immer dieselben: Die inhabergeführten Fachgeschäfte werden aufgegeben und Ladenleerstände breiten sich wie ein Krebsgeschwür aus. Immer mehr Ketten machen den Stadtspaziergang genauso langweilig wie austauschbar. Das Klagen der Händler ist einer erschreckenden Stille und Resignation gewichen. Die früher engagierte Werbegemeinschaft verliert nicht nur immer mehr Mitglieder, sondern auch zunehmend ihren gesellschaftlichen und politischen Einfluss. Die Rufe nach Überlebensstrategien für unsere Kommunen, nach Hilfe für den Handel und nach Rezepten für eine lebendige Innenstadt werden zwar lauter, verhallen aber nach wie vor ungehört in den Steinschluchten europäischer Innenstädte. Dabei gibt es genug Möglichkeiten, sich dem Abwärtstrend, dem Trading-Down, zu entziehen. Ein paar Beispiele will ich nachfolgend aufzeigen:
Der Kunde will Einkaufsatmosphäre
Innenstädte, die überleben wollen, müssen mehr vorhalten als die blosse Einkaufsmöglichkeit. Sie müssen dem digitalen Einkaufen die lebendige Welt mit all ihren Erlebnismöglichkeiten entgegensetzen. Innenstadterlebnis ist dabei die Verbindung aus Kaufen, Essen, Trinken, Wohlfühlen und Austauschen. Wenn der Kunde also nicht mehr in die Innenstadt kommen muss, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, müssen wir ihm neue Gründe liefern. Zuvor muss aber der stationäre Händler verstehen, dass die Digitalisierung nicht der Gegner ist, sondern eine Chance für das eigene Geschäft sein kann. In einer Welt, in der insbesondere junge Menschen mehr auf digitalen Autobahnen als auf den Strassen der Innenstadt unterwegs sind, muss der Händler zwar nicht unbedingt einen eigenen Onlineshop anbieten, aber er muss im Internet sichtbar sein. Schon heute hat jede zweite Suchanfrage bei Google einen lokalen Bezug. Wer als Dessauer Schuhfachgeschäft bei «Herrenschuhe Dessau» nicht gefunden wird, hat im digitalen Zeitalter fast schon verloren.
Der Kunde will Emotionen
Wer gegenüber der Onlinewelt bestehen will, muss die emotionalen Bedürfnisse seiner Kundschaft bedienen. Die Ware sehen, anfassen, an- und ausprobieren und die Aussicht, sie sofort mitnehmen zu können, sind neben der persönlichen Beratung durch Mitarbeiter, die auch altersmässig zum Kunden passen, die Faktoren, mit denen der klassische Handel gegenüber dem Onlineversand punkten kann. Nach Einschätzung aller bekannten Marktforschungsinstitute steigt die Bedeutung dieser weichen Faktoren von Jahr zu Jahr an und kann dementsprechend dem stationären Handel Stabilität verleihen.
Der Kunde ist bequem
Nach wie vor sind die Erreichbarkeit und das Parkplatzangebot für den Erfolg von Innenstädten von herausragender Bedeutung. Stadtplaner und Politiker übersehen bei ihren Planungen regelmässig, dass der Kunde längst Alternativen zum Einkaufen in der Innenstadt hat. Wer also den Verkehr aus dem Zentrum herausnehmen will oder die Anzahl von Parkflächen verkleinert, leistet dem Onlinehandel zumindest fahrlässig Schützenhilfe. Dabei könnten auch hier bestehende digitale Angebote, wie zum Beispiel die mobile Parkplatzsuche oder die Parkgebührenbezahlung per Handy, dazu beitragen, den Besuch in der Innenstadt für den Kunden angenehmer zu machen.
Der Kunde erwartet Transparenz
Einer der grossen Vorteile des Onlinehandels gegenüber der Innenstadt ist die relative Marktübersicht in Echtzeit. Angebote können über Preissuchmaschinen innerhalb von Sekunden gefunden, bewertet und erworben werden. Dagegen erscheint das Wettbewerbsverhalten der Städte fast mittelalterlich. Angebote der Innenstadtunternehmen sind zwar reichlich vorhanden, jedoch für den Kunden nahezu unsichtbar. Deshalb liegt auch im Aufbau von Online-Tools, die hier Abhilfe schaffen, einer der grössten Hebel für den stationären Handel. Wer im digitalen Zeitalter bestehen will, benötigt eine transparente Übersicht aller angebotenen Waren, eine effektive Markensuchfunktion, die Möglichkeit, auch online Waren in der Innenstadt zu reservieren, zu bestellen und zu bezahlen, sowie eine mobile Navigation durch das Zentrum.
Der Kunde sucht Leben
Seit jeher sind die Zentren unserer Städte mehr gewesen als nur Handelsorte. Obwohl der Einkauf über viele Jahrzehnte hinweg einer der wichtigsten Gründe für den Besuch der Innenstadt war, ist sie auch immer Versammlungsort, Bühne und Schauplatz öffentlicher Ereignisse gewesen. Die Innenstädte sind Raum des unverbindlichen Kontaktes von Menschen untereinander, sie sind Orte der Begegnung und Mittelpunkt des öffentlichen Lebens. Damit unterscheidet sich die gewachsene, allen zugängliche Innenstadt auch von standardisierten Einkaufszentren und dem anonymen Onlinehandel. Einkaufen soll über alle Generationen hinweg Spass machen, und dieser Spass kann insbesondere durch ein professionelles Veranstaltungsmanagement geboten werden.