Loriot und das Recht auf Anonymität

“Mein Name ist Lohse. Ich kaufe hier ein.” Mit diesen Worten betritt der einzigartige Loriot als frisch pensionierter Familienvater einen Tante-Emma-Laden. Statt eines Glases Senf kauft er – die Loriot Fans unter Euch kennen die Geschichte aus dem Film „Pappa ante portas“ sicherlich – gleich eine ganze Palette, weil das günstiger ist. Schließlich war er 17 Jahre lang Leiter der Einkaufsabteilung und kennt sich aus. Bereits die Erinnerung an diese Szene lässt den bekennenden Loriot Fan schmunzeln. Nicht aufgrund des unbestreitbaren Vertriebserfolgs, sondern vielmehr aufgrund der ungewöhnlichen Begrüßung beim Betreten des Geschäftes. War dieser Satz ursprünglich auch nur als humorvolle Einlage gedacht, steht er heute doch stellvertretend für einen erbitterten Streit zwischen Datensammlern und Datenschützern und der Frage, wie anonym darf das Internet, unser digitales Leben, sein?

Niemand würde doch im realen Leben seinen Namen beim Eintritt in einen Supermarkt zur Begrüßung lauthals kundtun. Das wäre zwar möglich, erscheint aber ziemlich skurril, wenn nicht sogar verrückt. Es geht doch niemanden etwas an, wer ich bin, was ich einkaufe, mit wem ich spreche und was ich ausgebe? Das Recht auf Anonymität durchdringt einen Großteil unseres Alltags, ist ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft und setzt allen ambitionierten Datensammlern enge Grenzen.

Aber wie sieht das im Netz aus? Ist das Recht auf Anonymität im realen Leben, auf unser „Online-Leben“ übertragbar? Sollen unsere „analogen“ Freiheiten, wie z. B. beim Einkauf im Tante-Emma-Laden, auch im Netz erhalten bleiben? Dürfen wir uns im Netz auch zukünftig anonym informieren, kommunizieren und konsumieren, also all das tun, was wir im Alltagsleben auch tun dürfen?

Vor wenigen Monaten hat der Autor dieses Artikels mit seinem Satz im bayerischen Satiremagazin „quer“: „Fakeaccounts geben Menschen die Möglichkeit, auch anonym unter dem Schutz der Persönlichkeitsrechte, sich in sozialen Netzwerken zu bewegen. Das finde ich okay“, eine bis dato wohl einzigartige Medienberichterstattung, insbesondere in der bayerischen Medienwelt ausgelöst. Medien und Politiker griffen den Autor für seine Aussage stark an. Fakeaccounts wurden schlichtweg mit „Fake News“ gleichgesetzt, den in (Sozialen) Medien und Internet in manipulativer Absicht verbreiteten Falschmeldungen. Aber ist das richtig? Was ist eigentlich ein Fakeaccount? Bei einem Fakeaccount handelt es sich um ein pseudonymes Benutzerkonto. Ein Pseudonym ist der fingierte Name einer Person, der anstelle des bürgerlichen Namens verwendet wird und meist zur Verschleierung der Identität dient (Wikipedia).

Mitten in dieser hitzigen Diskussion meldeten sich zu Beginn dieses Jahres auch noch die obersten deutschen Richter zu Wort. Der Bundesgerichtshof stellte in einer Entscheidung fest, dass Facebook nicht vorschreiben darf, ob Menschen unter ihrem echten Namen auf der Plattform posten oder nicht. Und auch wenn sich dieses Urteil nur auf Fälle bis zum Jahr 2018 bezieht, bleibt auch in der Neufassung des TTDSG das Recht auf das Pseudonym im § 19 erhalten: „Anbieter von Telemedien (Soziale Netzwerke) haben die Nutzung von Telemedien und ihre Bezahlung anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist.“ Dieses Recht auf Anonymität ist also nicht nur okay, sondern sogar im Telemediengesetz fest verankert. Die Diskussion um Fakeaccounts, Pseudonyme und über die Klarnamenpflicht ist wahrscheinlich genauso alt, wie das Internet selbst. Dabei gibt es gute Gründe gegen die Klarnamen-Pflicht in den sozialen Netzwerken.

1. Klarnamenpflicht schützt die Opfer nicht
Wie die letzten Jahre gezeigt haben, hindert auch eine Klarnamenpflicht übergriffige Täter nicht daran, andere zu belästigen oder zu beleidigen. Eine allgemeine Klarnamenpflicht führt nur dazu, dass sich Opfer aus dem öffentlichen Diskurs zurückziehen, weil sie dadurch für Täter sichtbarer werden. Den Opfern bleibt nur die Wahl, sich gänzlich zurückzuziehen oder komplett ausgeliefert zu sein. Laut einer Studie kennen die Hälfte aller Online-Hass-Opfer die Namen und Identität ihrer Angreifer – insofern würde Klarnamenpflicht nur wenig verhindern.

2. Klarnamen erleichtern politische Verfolgung
Verfolgung ist nicht nur dort zu befürchten, wo Aktivisten arbeiten und aufgrund politischer Spannungen anonym bleiben wollen. Diesen Menschen muss es möglich sein, sich kritisch zu äußern, ohne Angst vor Konsequenzen haben zu müssen.

3. Klarnamen schaffen Probleme im privaten/wirtschaftlichen Bereich
Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Unternehmens haben ein Recht darauf, frei im Internet ihre Meinung zu äußern, ohne befürchten zu müssen, dass sie am nächsten Tag deshalb gefeuert werden.

4. Vorurteilsfreie Bewegung im Netz nicht mehr gegeben
In bestimmten Kontexten ist Anonymität überhaupt erst der Beginn des Diskurses. Vorurteile, die zum Beispiel durch das Geschlecht entstehen, können hier geschickt umgangen werden.

5. Kinder und Jugendliche haben keinen Schutz mehr
Besonders schützenswert sind Kinder und Jugendliche, die mit den Gefahren des Internets nicht so vertraut sind wie erwachsene Nutzerinnen und Nutzer. So kann es durchaus sinnvoll sein, sich als Jugendlicher ein Pseudonym zuzulegen, um sich vor Übergriffen zu schützen.

6. Das Internet ist ein öffentlicher Raum
Wie auch auf der Straße oder eben im Tante-Emma-Laden, wo sich Menschen anonym bewegen dürfen und kein Namensschild vor sich hertragen müssen, gilt dieses Recht auch für das Internet als öffentlichem Raum.
Kurz: Es gibt viele gute Gründe für den Schutz der Persönlichkeitsrechte im Netz.

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