Es hat sich nicht nur die Technik verändert

Digitalisierung in der Führung ist mehr als eine Webcam mit HD-Zeiss-Objektiv

Erstens: Ums Thema Corona und/oder Transformation kommt man nicht herum. Zweitens: Selbst, wenn zwischen Niederschrift dieses Textes und dem Zeitpunkt, an dem Sie, liebe Leserinnen und Leser, ihn lesen, nur wenige Tage ständen, könnte es sein, dass er vom Timing her nicht mehr passt. Es ist praktisch unmöglich, etwas zu elaborieren, das gerade dann aktuell ist, wenn es von jemand anderem konsultiert und verinnerlicht wird. Schnelllebig war gestern, heute ist’s auch noch unberechenbar. Wie auch immer: Der beschriebene Gedankengang findet statt im Zeitraum kurz nach dem Ende des zweiten – je nach Region, in der Sie gerade sind und waren – Voll-Lockdowns, Teil-Lockdowns, Lockdown-Lights, Night-Lockdowns, Lockdown-only-for-Restaurants usw.

Das heißt, die Hochphase der Homeoffice- und Remote-Zeit ist vorbei. Man begegnet sich wieder in Besprechungen und im Büro, hat aber auch ein Weg gefunden, virtuelles Miteinander gleichwohl zu pflegen. Ein neuer Mix zwischen Präsenz und digitalem Arbeiten wird vielerorts Alltag werden.

Was ist passiert? Menschen treffen wieder aufeinander und stellen fest, dass in der Zeit der nicht physischen Begegnungen etwas geschehen ist. Da sind vielleicht Äußerlichkeiten. Man beobachtet, dass einige Männer jetzt Bartträger sind, einige in Ermangelung des Fußwegs zum Büro an körperlicher Masse zugelegt haben und manche den saloppen Camper-Look aus den Heimarbeitsmonaten gleich weiterziehen und meinen, dass Flanellhemd-gemustert-verbleicht-vier-Tage-getragen und Schlabberfinken der Produktionseffizienz nicht abträglich waren und infolgedessen auch in den Bürogebäuden angewandt werden können.

Es geht jetzt aber weniger um vestiaire oder digitale Erfahrungen, sondern um die immer wieder beschworene Gruppendynamik. „Gruppendynamik findet immer statt“ (aus „Wie die Gruppe laufen lernt“ von Langmaack/Braune-Krickau) – das gilt auch dann, wenn jeder und jede zu Hause sitzt.

Es wird vielerorts nämlich sichtbar, dass Teams erkennen, dass sich auch etwas im Miteinander verändert hat. Da gibt es neue Subgruppen, vielleicht diejenigen, die sich trotz Homeoffice hie und da im Büro physisch begegnet sind. Da sind Gruppen auseinandergefallen, die vorher im selben Büro waren und seit Monaten eigentlich gar nichts mehr miteinander zu tun hatten. Es gibt neue Seilschaften, Beziehungen. Zwischen den Zeilen wird jetzt offensichtlich, wer sich jenseits der Weisungen trotzdem manchmal im Büro getroffen hat und leicht steuernd dafür gesorgt hat, dass im Splittingoffice während der Übergangsphase „zufällig“ immer die gleichen Leute zusammenkamen. Davon zeugen die herumliegenden Menükarten des Pizzaservices.

Nach der Teamuhr von Tuckman kann man wohl festhalten, dass sich viele Gruppen und Teams in einer „Reforming“-Phase befinden, die erste Ausläufer von „Storming“ zeitigen. „Wir haben uns auseinandergelebt“ ist ein häufiger Grund für Ehescheidungen. Das gilt auch für Arbeitsbeziehungen.

Dann gilt es, das Miteinander wiederherzustellen. Nein, nicht „wie vor Corona“, aber es zu thematisieren lohnt sich. Sich Zeit zu nehmen, auf sich zu schauen, zu reflektieren, was mit dem Team geschehen ist und wie es sich gerade jetzt zeigt. Im Anschluss die nächste „Norming“-Phase“ aktiv anzugehen, bevor „Storming“ die Oberhand gewinnt und das Team endgültig auseinanderdividiert.

Das alles muss aber schnell geschehen. Wer das nicht in den drei bis vier Monaten nach Rückkehr an die Arbeitsplätze angeht, wird fünf Monate später ein Problem haben. Und das Problem wird sich mit einer möglichen weiteren New-Homeoffice-Phase potenzieren. Nähe und Distanz müssen neu kalibriert werden, eventuell müssen auch Themen, in die sich jeder so wunderschön im Homeoffice hineinsteigern konnte, aufgearbeitet und geklärt werden.

Auch hier spielt natürlich die vorgesetzte Person eine Schlüsselrolle. Sie ist die, die das erkennen und eine eigene Haltung von Neugierde und Neutralität („Coaching für die Praxis“, Whitmore) an den Tag legen muss. Sie muss diesen Prozess ins Rollen bringen.

Ob sie sich dafür punktuell Unterstützung von außen holt, ist Teil der „Chefschen Diagnose“ – nur Nichtstun ist hier wenig empfehlenswert.

Fazit

  • Digitalisierung ist Technik, aber nicht nur.
  • Digitalisierung verändert(e) die Teambeziehungen. Diese zu thematisieren, ist Chefsache.
  • Die vergangene Zeit verlangt, dass Nähe und Distanz zwischen Chef und Mitarbeitern neu kalibriert werden, und zwingt zu individuelleren Führungsformen.
  • Wegschauen war noch nie so einfach – und so gefährlich.

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