Zuhören, zutrauen, zulassen

Hubler hat sich bisher keine Gedanken gemacht, ob er diese Sonntagnachmittage mag oder nicht. Im Gegensatz zu seiner Frau. Sie kann es nicht leiden, wenn ihr Wochenende frühzeitig zu Ende geht, weil er sich auf seine kommende Arbeitswoche vorbereitet. Aber so ist es eben: Verantwortung geht nicht ohne persönliche Opfer. Davon ist er überzeugt. Und das seit gut 25 Jahren.

2015 hat er die Spitze der Bank erreicht und ist stolz und enttäuscht zugleich. Stolz, weil er so viel Verantwortung trägt. Rund 1000 Mitarbeitende arbeiten an den Themen, die ihm wichtig sind. Er hat sich vorgenommen, die Bank zukunftsfähiger zu machen, zu modernisieren, am Mindset und an der Haltung seiner Leute zu arbeiten. Und er ist enttäuscht: Die aktuelle Mitarbeiterbefragung hat ihm zugesetzt. Er hatte mit besseren Ergebnissen gerechnet. Die Rücklaufquoten sahen zwar gut aus, ansonsten war aber wenig Entwicklung erkennbar. Dabei hat er immer wieder appelliert: „Wir gestalten die Zukunft“. Das war sein Credo, sein Mantra. Das wiederholte er in den Meetings mit der Führungsmannschaft und in den Veranstaltungen mit den Mitarbeitenden und den Kunden. Aber irgendwie scheint das noch nicht in der Bank anzukommen.

Montag früh geht es mit einem kurzen Meeting mit Meier los. Hubler ist gespannt, was er berichten wird. Meier ist mit dem Umbau der Marktfolgeabteilung Monate im Verzug. Die Projektergebnisse zur Reorganisation waren eindeutig. Aber das Ganze scheint zu stocken. Hubler wird sich auf einen problemorientierten Austausch einstellen müssen. Meier wird wieder mit Rechtfertigungen kommen und nicht mit Ideen oder konkreten Vorschlägen.

Um 09:00 Uhr findet dann das Referatsmeeting statt. Seine Kollegen werden über die letzte Woche berichten: Was alles schieflief, welches die Ursachen sind, was es jetzt zu bedenken gilt und wo die Schwierigkeiten und Risiken sind. Geplant ist das Meeting bis 11:00 Uhr. Üblicherweise wird überzogen. Deshalb hat Hubler bis zum Mittag keine Termine mehr.

Auf das Mittagessen freut er sich. Im letzten Lenkungsausschuss zum Thema Digitalisierung hat er ein Talent entdeckt. Der junge Kollege, der die „Zukunft der Arbeitswelt“ präsentierte, schwärmte von „Sprints“, „Squads“ und „Tribes“. Inhaltlich konnte er nicht ganz folgen, aber er erinnerte sich an seine eigene Anfangszeit, damals im MbO-Projektteam: Sie hatten die ganze Bank mit einem Ziel- und Beurteilungssystem überzogen. Endlich wurde gemessen und bewertet. Ihn brachte es vom Vertrieb in die Vertriebssteuerung. „Jetzt zeigen wir denen da draussen mal, wie man richtig verkauft“, hatte sein damaliger Chef gesagt. Dieser Janson sollte also gefördert werden. Mal sehen, wie er reagiert, wenn er ihm eine Teamleitung in Aussicht stellt. Das liebt er an seinem Job: Die Fäden ziehen.

Am Nachmittag trifft er sich in den üblichen bilateralen Meetings mit seinen Abteilungsleitern. Im stündlichen Rhythmus bis 18:00 Uhr. Im Anschluss muss er zur Hauptfiliale und eine Veranstaltung mit den wichtigsten Firmenkunden eröffnen. Wen haben sie nochmal zum Thema Disruption als externen Speaker engagiert?

Als er sich den mit Terminen und Meetings völlig überladenen Rest der Woche ansieht, wird ihm auf einmal klar: Er bringt „seine PS nicht auf die Strasse“. Es passiert ihm genau das, was er immer seinen Leuten vorwirft. Er geht im täglichen Kleinklein unter.

Hubler macht sich noch einen Kaffee, fährt seinen Rechner herunter und fasst einen Entschluss: Er muss sich verändern, damit sich etwas verändert. Wo fängt er an?

Während der Vorstellung der Mitarbeiterbefragungsergebnisse letzte Woche hatte er sich noch geärgert: „Seit Jahren leisten wir in der Geschäftsleitung Aussergewöhnliches. Zum Dank antworten unsere Leute, wir würden eigenverantwortliches Arbeiten nicht fördern! Und dass es kaum möglich sei, Kritik nach oben zu äussern! So geht das nicht weiter!“ Seine Kollegen haben natürlich sofort zugestimmt.

Er greift sich einen Stift. Nach einer halben Stunde steht seine Ideenliste:

  • Weniger Entscheidungen selbst treffen. Möglichst viel delegieren.
  • Weniger reden, mehr zuhören.
  • Weniger Probleme diskutieren, mehr in Lösungen denken.
  • Vereinbarte Zeiten konsequent einhalten.
  • Die Zukunft gestalten und in die Unternehmenskultur investieren.
  • Lockerer werden.

Am Ende kürz er seine Liste auf drei Worte: zuhören, zutrauen, zulassen.

Morgen um 11:00 Uhr nimmt er sich eine Stunde Zeit, um sich weiter Gedanken zu machen. Beim Mittagessen will er mehr über die Ideen von Janson erfahren – sonst nichts. Er wird mit dem Personalleiter über ein Talentprogramm sprechen. Am Nachmittag wird er seinen Abteilungsleitern den neuen Meetingmodus erklären. Alle bilateralen Besprechungen werden abgesagt. Dafür kann man ihn ab sofort als Diskussionspartner buchen. Fertig. Sein Kalender wird freigeräumt.

Er schmunzelt, wenn er an morgen denkt und ist schon jetzt voller Energie. Dann steht er auf und sagt zu seiner Frau: „Lass uns etwas unternehmen, es ist Wochenende.“

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