Psychologische Sicherheit als wichtiger Faktor im agilen Vertrieb

In den Jahren vor Corona wurde ich oft für meine Herzlichkeit und meine Nahbarkeit kritisiert. Das würde zu viel Zeit kosten. Das sei nicht effektiv fürs Business. Das würde im Vertrieb keinen Vorteil bringen. Ich müsse im Verkauf mehr zum Leuchtturm werden, zum Guru, unerreichbar und schwer bezahlbar. Dabei war in den letzten beiden Corona-Jahren in der allgemeinen wirtschaftlichen Lage einer der häufigsten Gründe für nicht abgeschlossene Verträge, kündigende Mitarbeitende oder fehlenden Vertrieb die Distanz zum Vertriebler. Die Distanz zum Anbieter. Fehlende Nähe und Nahbarkeit auf einer Online-Plattform machten deutlich, wie selbstverständlich psychologische Sicherheit den Menschen im Arbeitsleben ist. Sicherheit durch menschliche Nähe in einem Raum, Sicherheit durch Arbeitsroutine, Sicherheit durch vertraute Räume oder ein bekanntes Gebäude. Sicherheit – in welcher Form auch immer – tut den meisten Menschen gut. Es gib Sicherheit, wenn man zu Beginn des Online-Meetings entspannt bleibt, obwohl die Technik noch nicht funktioniert. Andere entspannen sich durch eine ungefährliche Portion Humor, wenn man die üblichen langweiligen Fragen, ob man gehört wird oder ein Zeichen geben kann, mit einer Geisterbeschwörung vergleicht. Oder es sorgt für Sicherheit, wenn das ungeplant zu Hause bleibende Kind bei der Besprechung auf dem Schoß sitzt und davon keiner sonderlich genervt ist. Diese Sicherheit in das agile Arbeitsleben und in die Online-Welt zu übersetzen, ist eine unserer dringendsten Herausforderungen – jetzt und in der Post-Corona-Zeit.

In den letzten beiden Jahren war die am meisten gestellte Frage an uns beim Deutschen Institut für Humor: Wie bekommt man Nähe und Herzlichkeit in einen Online-Termin? Natürlich ist ein geschäftliches Online-Meeting kein Treffen unter Freunden und ein Unternehmen keine Familie. Familien kündigen ihren Kindern nicht bei schlechter Leistung oder beurlauben sie in einer schwierigen Zeit. Ein starkes Bild für das, was Unternehmen in Zukunft brauchen, ist vielleicht nicht unbedingt die Familie, aber die Gemeinschaft. Psychologische Sicherheit entsteht durch eine Gemeinschaft aus Menschen, die an vielen verschiedenen Arbeitsplätzen, in unterschiedlichen Städten oder Ländern sitzen und täglich zusammenarbeiten. Die Gemeinschaft kann auch online schnell durch Nahbarkeit, Herzlichkeit und Augenhöhe hergestellt werden. Eine Gemeinschaft von Menschen, die Werte teilen, sich als Mensch gesehen und geschätzt fühlen, eine Stimme haben und nicht nur eine Nummer sind. Eine Gemeinschaft, in der Meinungen Entscheidungen beeinflussen, die das Unternehmen betreffen. Und wo es eine Rolle spielt, ob gerade Sie diesen spezifischen Job machen oder jemand anders. Es wird nicht ausreichen, zu einem Unternehmen mit bestens ausgebildeten Experten zu gehören oder für ein Unternehmen mit genialen Produkten zu arbeiten, wenn der Vertrieb nicht fähig ist, Sicherheit durch Nähe und Nahbarkeit auch bei digitalbedingter Entfernung herzustellen.

Meine hohe Priorität für psychologische Sicherheit, Herzlichkeit und Nähe in einem immer wieder fremden Raum (live oder online) haben einen enormen Einfluss auf die Art von Humor, die ich als Expertin in der Wirtschaft fördere, trainiere und fordere. Meine Offenheit und Nahbarkeit hat in den letzten 20 Jahren Tausende von Menschen eingeladen, sich zu öffnen, mit Humor zu experimentieren, und sie ermutigt, Unternehmenskultur nachhaltig zu verändern. Diese Nähe und Herzlichkeit, die viele Vertriebler durch einen Termin vor Ort erreicht haben, müssen wir konsequent in die agile und digitale Zeit übersetzen. Wenn der Raum immer fremd, das Büro immer neu, die Gesichter immer anders sind. Dann darf der Rhythmus im Online-Meeting wohlwollend gemeinschaftsfördernd sein, dann darf es methodische Übungen zur Entspannung geben und es muss durch ein vernetztes Austauschen Sicherheit entstehen. Die Psychologin Kristin Neff hat den Begriff „Selbstmitgefühl“ für mich greifbar gemacht und meine Arbeit stark beeinflusst. Selbstmitgefühl unterscheidet sich von Selbstmitleid. Selbstmitgefühl bedeutet, sich selbst in einer Krise liebevoller umsorgen zu dürfen und eben mit sich selbst Mitgefühl haben zu können. Dieser Begriff hat meine Sicht auf psychologische Sicherheit und Humor erweitert. Wir dürfen liebevollen Humor machen und uns selbst und andere dabei mögen. Kommt man an eine Fußgängerampel mit dem Schild „Fußgänger bitte drücken“ ist die Idee zum Schmunzeln, den Nachbarn einfach zu drücken. Humorvolles Mitgefühl schafft Sicherheit. Humorvolles Selbstmitgefühl lässt uns Krisen besser durchhalten. Morgens vor dem Spiegel wertet man sich in schwierigen Zeiten stärker ab als sonst. Umso wertvoller ist es den Spiegel abzunehmen, an die Wand zu schreiben „Du siehst gut aus“ und mit einem Lächeln in den Tag zu gehen. Das sorgt für verbesserte Zusammenarbeit. Schafft Gemeinschaft. Verbessert den Vertrieb. Eine agile, flexible und sich permanent ändernde Welt fordert von uns Experten und Expertinnen die Fähigkeit, Sicherheit für uns und andere trotzdem schnell herzustellen. Studien haben nachgewiesen, dass eine soziale Form von Humor für mehr psychologische Sicherheit sorgt, dass Menschen sich schneller öffnen und auf eine neue Beziehung einlassen und dass dieser soziale (liebevolle) Humor auch in kurzer Zeit nachhaltig trainiert werden kann. Ein digitalisierter Vertrieb, eine globale Wirtschaft, ein agiles Arbeitsleben erfordert eine nahbare, menschliche Kommunikation, die Sicherheit vermittelt. Und Humor ist ein Tool im Werkzeugkasten der vertrieblichen Kommunikation und psychologischen Sicherheit.

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