Humor ist Chefsache

Sie als Führungskraft waren im letzten Jahr mehr als ausreichend in Ihrer Flexibilität und Krisenkompetenz gefordert. Man könnte meinen, bei dem ermüdenden Marathon an Online-Meetings, fehlenden Einnahmen und Krisenmanagement im Konzern ist uns der Humor im Alltag völlig verloren gegangen. Wenn Ihnen das als Führungskraft wenig ausmacht, weil Sie Humor in Krisen für unnötig oder gar für Ressourcenverschwendung halten, dann möchte ich Sie einladen, einen Blick auf die nützlichen Seiten von Humor zu werfen.

Humor hat uns nach der ersten Schockstarre in der Corona-Krise auch in Deutschland gute Dienste geleistet: Der Osterhase war systemrelevant. Er hat natürlich keine Ostereier versteckt, sondern Klopapier. Es gab viele Maskenwitze. Martin Sonneborn, ehemaliger Journalist beim Satiremagazin Titanic und nun seit vielen Jahren im EU-Parlament, postete: „Habe heute maskierte Männer an der Tankstelle bei einem Überfall gesehen. Vorbildlich.“ Fragen wie „Muss sich Farin Urlaub nun zu Inka Rantäne umbenennen?“ kursierten im Netz. Zu lesen war auch: „Wenn Kirche und Puff gleichzeitig schließen, dann haben wir echt ein Problem.“ Zu Weihnachten durfte man wieder mit fünf Personen ohne Probleme Zeit verbringen. Aber wo fand man zu diesem Zeitpunkt schon fünf Personen ohne Probleme? Humor ist abhängig vom Kontext. Der Osterhase, der Klopapier versteckt, wäre 2019 nicht lustig gewesen. Maskenwitze auch nicht. Eine Krise verändert und beeinflusst den Humor aller Betroffenen. Sie als Führungskraft managen immer Krisen, nicht nur im Jahr 2020. Humor verstärkt Zynismus und Sorge oder übertreibt Optimismus. Humor geht jedoch nie verloren. Er ist eine Überlebensstrategie. Sonst hätte er evolutionär nicht überlebt. Da Humor in Krisen eine große Hilfe ist, warum gehört er dann als rhetorisches Stilmittel nicht längst in jede Führungskräfteausbildung?

Wir sind im ersten Meeting nach Neujahr. Üblicherweise wird über gute Vorsätze gesprochen. „Ich muss unbedingt fitter werden, mehr Sport machen, ein paar Kilo abnehmen.“ Sie kennen die Phrasen. Ich bin ein großer Fan von Zielen, aber nicht an oder unmittelbar nach Neujahr. In diesen Tagen formulierte Ziele haben die kürzeste Halbwertszeit, selbst wenn sie SMART sind. Also gehe ich in die Küche, nehme dort das Spülmittel FIT in die Hand, setze mich wieder vor den Rechner und halte die Spülmittelflasche in die Kamera: „Mein Vorsatz für das neue Jahr: FIT halten.“ Es dauert einen Moment. Mein Team lacht. Das Thema wird gewechselt. Und plötzlich wird Humor nützlich.

Sie erinnern sich an den Comedian Andre Kramer? Er sorgte während der Krawalle rund um den G20-Gipfel 2017 in Hamburg für ein erlösendes Lachen. Hamburg war mit hochgerüsteten Polizeitruppen und randalierenden Demonstranten im Ausnahmezustand. Kramer ging mit einem Demo-Schild vor die Tür, auf dem stand: „Ich bin Anwohner und will nur schnell zu Edeka. Danke.“ Humor hilft im Alltag, angespannte Momente zu unterbrechen. Ein Perspektivwechsel unterbricht die Polarisierung. Doch in stressigen Situationen muss Humor deutlicher erkennbar sein als sonst. Aggressiver bzw. zynischer Humor ist in der Krise ein hilfreiches Ventil. Diesen muss man aber unterscheiden von erlösendem Lachen, also von Humor, der Angst unterbricht. In Krisen darf Humor auf Kosten anderer nicht allzu zynisch sein, und das bedeutet, dass wir noch weniger „übereinander herziehen“ sollten als in guten Zeiten. Diese Humorstile – aggressiv und wertschätzend – sollten Führungskräfte unterscheiden können.

Die häufigste Klage von Führungskräften 2020 war die Handlungsunfähigkeit der Mitarbeiter. Corona-Statistiken, Angstspiralen und Weltuntergangsprognosen lähmten und machten ihre Teams unfähig, sich in der Krise auf kreative und ungewöhnliche Weise neu zu erfinden. Bald muss die Produktivität wieder gesteigert werden. Wenn alles gut geht, müssen Mitarbeiter nach und nach wieder aus der Bequemlichkeit des Homeoffice zur Umsetzung der Unternehmensziele befähigt werden.

Humortechniken können in bedrohlichen Momenten des Führungsalltages aus der Not helfen. „Eine Führungskraft hat die Aufgabe, eine Wandergruppe mit Spitzensportlern und Menschen mit Behinderung bei Nebel durch unwegsames Gelände in nordsüdlicher Richtung zu führen, und zwar so, dass alle bei bester Laune und möglichst gleichzeitig an drei verschiedenen Zielorten ankommen.“ – frei nach W. Müller-Limmroth. Da stecken die Widersprüchlichkeiten einer Krise schon mit all ihren Mehrdeutigkeiten drin. Ambiguitätstoleranz bedeutet Ungewissheits- und Unsicherheitstoleranz, also die Fähigkeit, mit Mehrdeutigkeiten umzugehen. Ungewissheitstoleranz bedeutet, ungewisse Situationen als Herausforderungen wahrzunehmen, anstatt sie abzulehnen. Humor trainiert Ambiguitätstoleranz signifikant.

Als Führungskraft sind Sie nicht erst seit letztem Jahr gefordert, täglich Krisen abzuwenden und zu managen. Was vielen Menschen Angst macht, sind Veränderungen – große genauso wie kleine. Dabei ist uns diese Angst vor Veränderungen gar nicht angeboren. Im Alter von etwa einem Jahr war jeder von uns sehr begeistert von starken Veränderungsprozessen: als wir das Laufen lernten. Selten nahm einen die Mutter beim ersten Stolpern wieder auf den Arm und sagte: „Du bist eben nicht der Typ zum Laufen.“ Die wohlwollende Ermutigung, die Einladung zur Wiederholung, die offene Körpersprache, das Lächeln beim Scheitern – all das ist eine gute Unterstützung in Veränderungsprozessen, auch durch Führungskräfte. Im Jahr 2020 waren viele von uns wieder ein Jahr alt, angesichts der Anzahl neu zu lernender Technologien und des Frusts bei ungewohnten Prozessen. Einjährige sagen selten: „Ich möchte wieder in Muttis Bauch zurück. Das ist mir hier zu anstrengend.“ Man hört jedoch von allen Seiten und aus allen Branchen Menschen rufen: „Wann wird es endlich wieder wie früher, vor Corona?“

Konkret erhöht sich durch Humor die Toleranz, widersprüchliche, unsichere und komplexe Situationen auszuhalten. Damit werden solche Situationen weniger als Bedrohung empfunden. Ihre verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten werden sogar gezielt für die Humorproduktionen genutzt. Eine Zahnarztpraxis warb mit dem Plakat: „Jetzt ist die beste Zeit für eine Zahnspange!“ Daneben war ein Mensch mit Maske zu sehen. Humor klärt also nicht vollständig Konflikte oder Ängste. Humor löst jedoch oft Anspannungen und ermöglicht eine vertraute Atmosphäre, um Ängste und Sorgen besser klären zu können. Humor unterbricht in stürmischen Zeiten Angstspiralen. Signifikant.

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