Vom Verein zur gelebten Vereinigung – So gelingt die Transition

Vereine als Orte der Gemeinschaft, des Zusammenhalts, des kollektiven Wirkens – sie haben in den letzten zwei Jahren viel einstecken müssen. Das „physical distancing“ hat dazu geführt, dass sich viele Mitglieder nicht nur physisch, sondern auch sozial voneinander entfernten – zunächst aus vermeintlicher Solidarität: „Sicher ist sicher! Wenn sich die Lage wieder entspannt, sind wir auf jeden Fall wieder mit vollem Elan dabei.“ Ein Paradoxon sondergleichen! Was haben die letzten 24 Monate mit dem Club 55 gemacht? Sind wir immer noch der Verein, der wir einmal waren? Wenn dem so ist: Wollen wir das in dieser Form überhaupt noch? Zeit für eine Inventur.

Individualismus als kollektive Stärke

„Der Verein (etymologisch aus ‚vereinen‘, ‚eins werden‘ und etwas ‚zusammenbringen‘) bezeichnet eine freiwillige und auf Dauer angelegte Vereinigung von natürlichen und/oder juristischen Personen zur Verfolgung eines bestimmten Zwecks, die in ihrem Bestand vom Wechsel ihrer Mitglieder unabhängig ist.“ So definiert Wikipedia den Begriff „Verein“. Sachlich betrachtet, trifft diese Beschreibung auf die meisten Vereine und auch auf den Club 55 zu. Wir alle sind diesem auf Dauer angelegten Verein freiwillig beigetreten und verfolgen einen bestimmten Zweck: kollektives Wissen zu generieren und zu verbreiten – nach innen und nach außen. Doch wie steht es aktuell um diese Gemeinschaft? Hat der Virus auch in unserem Club um sich gegriffen und aus dem ursprünglichen Kollektiv eine Gruppe von Individualisten gemacht?

Fakt ist: Die Pandemie hat in vielen Vereinen „aufgeräumt“ – positiv wie negativ. Die einen nahmen sie als Chance, alles umzukrempeln und sich auf sichere, digitale Beine zu stellen. Die anderen wurden vom Online-Tsunami schlichtweg überrollt. Nicht der Club 55. Wir haben es bisher geschafft, solide mit den Herausforderungen der Pandemie umzugehen. Mit einer Online-Variante 2020, dem hybriden Kongress 2021 und den monatlichen Dienstagabend-Zoom-Treffen haben wir bewiesen, dass unser auf Außenstehende manchmal etwas angestaubt wirkende Club mit seinen Statuten und Gremien durchaus zeitgemäß agieren kann. Die meisten Mitglieder bleiben uns treu, der Austausch untereinander besteht nach wie vor.

Von diesem Individualismus, den so unterschiedlichen Expertisen und Talenten unserer Mitglieder profitiert der Club in diesen Zeiten besonders. Die Antwort auf die Frage „Sind wir Kollektiv oder eine Gruppe Individualisten?“ lautet also: Wir sind beides zugleich. Wir sind ein Kollektiv aus Individualisten. Das klingt vielleicht etwas paradox, aber genau das macht uns als Club so stark.

Transformation vs. Transition – Was wir für den Übergang brauchen

Wir sind nicht auf den „Transformations-Zug“ aufgesprungen, der momentan durch viele Unternehmen und Vereine rauscht. Wir sind nicht panisch geworden und haben voll blindem Aktionismus von heute auf morgen etablierte Strukturen über Bord geworfen. Eine Transformation setzt voraus, das Ziel des Prozesses zu kennen. Doch genau dieses Ziel ist in diesen Zeiten nicht vorhersehbar. Wir wissen nicht, wohin die Reise geht. Wir können nur in Zwischenschritten denken, damit Transition möglich wird.

Im pädagogischen Sinne ist mit „Transition“ (lat.: transitus = Übergang, Durchgang) ein bedeutender Übergang eines Menschen gemeint, der bewältigt werden will und eine positive oder negative Entwicklung nach sich zieht. Misslingt die Anpassung an die neue Situation, entsteht Stress. Ist die Anpassung erfolgreich, entsteht Resilienz. Bedeutsame Erfahrungen und komplexe Lebensereignisse regen somit intensives Lernen und einen emotionalen Wandlungsprozess an. Damit ist jeder Transitionsprozess auch Teil eines Changeprozesses. Wenn wir uns das Konzept der Transition vor Augen halten, so sind wir nicht nur als Club auf dem Weg zu einer „gelebten Vereinigung“, sondern können sie auch im Umgang mit unseren Kunden fördern. Damit Transition in Vereinen und Unternehmen möglich wird, braucht es aus meiner Sicht die folgenden Voraussetzungen:

  1. Klarheit

Offenheit für Feedback und Verbesserung sowie regelmäßige gemeinsame Reflexion von Verhaltensweisen und Intentionen sind essenziell, um als Vereinigung erfolgreich zu sein. Dazu gehört auch das Etablieren einer respektvollen Streitkultur.

  1. Purpose

Vereinigungen sollten sich über ihre Daseinsberechtigung im Klaren sein und sich regelmäßig fragen: Welchen Nutzen bieten wir unseren Mitgliedern oder Kunden? Welchem Zweck dient unsere Vereinigung?

  1. Bereitwilligkeit

Wer Transition erreichen möchte, muss sich trauen, die eigene Komfortzone zu verlassen. Dazu gehört, sich von häufig geliebten, aber ungelebten Regeln zu verabschieden und neue, zielführende Strukturen zu etablieren. Das mag zunächst anstrengend sein, führt aber perspektivisch zu Erleichterung und Akzeptanz.

  1. Gelebte Werte und Kultur

Vereinigungen sollten regemäßig ihr Wertegerüst überprüfen: Ist es noch stabil? Gibt es Werte, die nicht (mehr) gelebt werden? Was haben die Herausforderungen der letzten Jahre mit unserer Kultur gemacht? Nur so lässt sich feststellen, wie groß oder klein die Lücke zwischen den notierten und den gelebten Werten ist.

  1. Akzeptanz von Andersartigkeit

Jeder Mensch ist „anders“ – und das ist auch gut so! Individualität macht Vereinigungen stark – wenn sie akzeptiert, als Chance gesehen und genutzt wird. Wenn wir es schaffen, Sichtweisen aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten und die Andersartigkeit der anderen richtig ein- und wertzuschätzen, dann entsteht wirkliche Synergie.

Lasst uns also nicht aufhören, damit anzufangen, regelmäßig Inventur zu machen: Wo steht unsere Vereinigung gerade? Sind wir ein „Verein aus Einzelkämpfern“? oder eine „gelebte Vereinigung aus Individualisten“, für die die oben genannten fünf Voraussetzungen die Basis allen Handels ist? Was ist das Ergebnis Ihrer Inventur?

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