Die Geschichte eines fiktiven CEO’s

Der CEO (im Folgenden „er“ genannt) ist grundsätzlich ein Anhänger von Klartext, vor allem dann, wenn es um frohe Botschaften geht: „Wir schenken Ihnen einen zusätzlichen Monatslohn“ oder man mittels dieses Prädikats ein würziges Feedback in der Art von „das haben Sie vergeigt, nochmals ran!“ geben kann. „Man soll ja sagen, was man denkt.“ Schonungslos, direkt, klar. Genau! Dann weiss es der andere auch.

Aber am heutigen Tag ist das anders. Er sitzt lustlos vor dem Computer. Die Zeit drängt. Als CEO eines internationalen Industriekonzerns muss er die Belegschaft heute Nachmittag über die missliche finanzielle Lage des Unternehmens orientieren. Diese „nicht-wirklich-frohe Botschaft“ ergänzt die Ankündigung, dass ein grosser Teil der Produktion nach Asien verlegt wird. Klartext? Wäre ja eigentlich einfach: sagen, was los ist „wir haben kein Geld“, dann sagen, was man macht: „Wir lagern ¾ der Produktion aus.“, ergo wen es betrifft: „betroffen sind alle, die in der Produktion sind“ und, wann es los geht: „die ersten Verlagerungen beginnen in drei Wochen, das Projekt ist in sechs Monaten abgeschlossen“. Schlussendlich noch eine Phrase zur Empathie: „Es ist einen einschneidende Massnahme, das ist uns bewusst.“ Einfach, klar, in viereinhalb Sätzen.

Er beginnt die Rede in den PC zu tippen. Doch jetzt kommen ihm Zweifel: „Wenn ich das so klar sage, geht der Shitstorm nachher im internen Web-Forum los.“ Das kennt er, war schon bei der letztjährigen Negativ-Lohnrunde so. Darauf hat er keinen Bock, nachher noch Mitarbeiter-Befindlichkeiten zu klären. Schliesslich ist jetzt Tempo beim Umsetzen gefragt. Time is money!

Er ringt mit sich und liest den Text, der er schon einmal etwas vorbereitet hat, durch.

„Meine Damen und Herren, ich trete heute vor Sie, um Sie über eine einschneidende Massnahme zu orientieren.“ „Treten“ – nein, das geht nicht. das hört sich doch zu sehr nach „vor die Schmitte treten“ an – zu dramatisch. Also direkter: „Meine Damen und Herren“ – dies ist wohl etwas förmlich, distanziert, schiesst es ihm durch den Kopf. „Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“. Genau, das drückt Wertschätzung aus, das steht so im Leitbild. Also: „Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ich informiere Sie heute über eine einschneidende … “ – Nein, das gefällt ihm nicht. „Einschneidende Massnahme“ hört sich an, als ob wir den Betrieb schliessen müssten. Dabei verlagern wir nur dahin, wo die Märkte sind. Im Grunde gehen wir näher zum Kunden. Genau, „Kundennähe“ möchten wir. Das hört sich nicht nach Abbau, sondern nach Aufbau neuer Distributionskanäle an. Und ist ja auch Klartext, vielleicht etwas geschönt, aber passt schon. Er gerät in Fahrt.

„Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich freue mich, Sie über unsere neue Strategie für mehr Kundennähe zu orientieren. Annäherung der Distributionskanäle ist das Rezept, das allerdings auch Opfer fordert.“ Nein, „Opfer“ geht gar nicht. Change-Projekte sind „Chancen“. „Wir haben die einmalige Chance, uns mit der Neuausrichtung im Markt besser zu positionieren.“ Ja, das passt. Es soll sich positiv anhören. Nichts von „gesundschrumpfen“, das würde bedeuten, dass wir vorher „krank-gewachsen“ sind.

„Fokussierung auf die zentralen Kerngeschäfte“ – ja, das muss rein. „Die Gründe für diese Neuausrichtungen sind vor allem Markteinflüsse aus Billiglohnländern.“ „Markteinflüsse“ – er streicht das Wort. Es erweckt den Eindruck von Fremdbestimmung. „Wir passen uns dem technologisch-demagogischen Wandel an und sind in der Globalisierung ein aktiver Player.“ Das ist gut. Er spürt, dass es richtig ist, solche Botschaften persönlich zu kommunizieren.

Das Rede soll noch angereichert werden mit ein paar wohlklingenden Begriffen wie „nachhaltig“, „ergebnisorientiert“, „stufengerecht“, „win-win“, „optimiert“, „schlank“ und unverzichtbaren Substantiven wie „State-of-the-Art“, „Streitkultur“, „Denkanstoss“.

Auf dem Bildschirm steht nun: „Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich freue mich, Sie über unsere neue nachhaltige Strategie für mehr ergebnisorientierte Kundennähe zu orientieren. Wir haben die einmalige Chance, uns mit einer stufengerechten Neuausrichtung im schlanken und optimierten Markt zu positionieren. Wir passen uns dem technologisch-demagogischen Wandel an und sind in der Globalisierung ein aktiver Player. Dabei fokussieren wir vermehrt auf unsere Stärken und die zentralen Kerngeschäfte und schaffen mit dieser State-of-the Art eine win-win-Streitkultur, die uns eine Kultur der permanenten Denkanstösse verschafft.“

Er schaut auf die Uhr – die Orientierung geht bald los und er ist stolz, die Dinge wahrlich auf den Punkt gebracht zu haben. Und das erst noch so, dass niemand den Verdacht schöpft, dass man nicht mehr an die Produktion in Europa glaubt …

Ein Beitrag von: