Fluch und Segen des Wandels
Neue, effizientere Prozesse sind eine Wohltat für Unternehmen und deren Erfolg und gleichzeitig eine große Herausforderung für die Menschen, die mit und in alten, bewährten Prozessen bereits viele Jahre gelebt haben. Der in vielen Fällen nicht böse gemeinte Widerstand der betroffenen Menschen ist häufig ein Grund für das Scheitern.
Dabei geht es nicht um Sabotage oder den bewussten, starrsinnigen Widerstand einzelner Mitarbeiter. Es geht um das gut gemeinte, aber letztlich zerstörerische Beharren auf der eigenen Kompetenz. Diese Kompetenz besteht unbestritten, bezieht sich aber auf das Umfeld der Vergangenheit. Weil im Feld des Wettbewerbs und in den Erwartungen der Kunden starke Veränderungen passieren und gleichzeitig neue Lösungsmöglichkeiten für bekannte Probleme entstehen, wirkt diese „Kompetenz der Vergangenheit“ als Ursache für das Scheitern.
Das Bessere ist aus der Perspektive des Vertrauten schlecht
Eine Fabel: Es gab ein Unternehmen, in dem ein wesentlicher Prozess das Abtransportieren von Schutt war. Zu Gründerzeiten wurde das mit Schubkarren erledigt. Seit mehr als 40 Jahren waren die Schubkarren von einem findigen Mitarbeiter durch Mofas mit Anhängern ersetzt worden. Im Laufe der Zeit wurde der Prozess immer weiter optimiert. Danach waren die Anhänger über Schnellkupplungen verbunden worden. Dadurch wurde die Abläufe weiter beschleunigt und die Menge des transportierten Schutts stieg entsprechend.
Der neue Juniorchef und Enkel des Gründers hatte eines Tages eine Vorführung von Kipplastern gesehen und war sofort davon überzeugt, dass die Verwendung dieser Fahrzeuge eine weitere Steigerung der Effizienz ergeben könnte. Um ganz sicherzugehen, bezog er die Mitarbeiter ein und ließ sie den Kipplaster auf Herz und Nieren testen. Nach ein paar Tagen bekam er von seinem Team folgenden Bericht:
„Grundsätzlich ist der Kipplaster hervorragend geeignet, um uns die Arbeit zu erleichtern und unsere Ziele besser zu erreichen. Es gibt allerdings einige Mängel, die vor Einführung unbedingt geändert werden müssen:
- Lenkräder sind in unserer Branche komplett ungeeignet. Wir benötigen eine Lenkstange.
- Das Schalten mit der rechten Hand mag in anderen Branchen funktionieren. In unserer Branche muss das Schalten jedoch unbedingt mit dem linken Fuß erfolgen.
- Daraus leitet sich ab, dass die Betätigung der Kupplung unmöglich mit dem linken Fuß erfolgen kann. Es muss in unserer Industrie aus gutem Grund immer mit der linken Hand erfolgen.
- Auch das Gas geben sollte mit der rechten Hand erfolgen, damit der rechte Fuß sicher auf der Hinterradbremse bleiben kann, um schnell zu bremsen und evtl. zu driften.
- Daher muss auch die Vorderradbremse separat angesteuert werden, und zwar von der rechten Hand …“
Verschlimmbesserung der Innovation
Die Liste der Veränderungsanforderungen war noch lang. Die Menschen waren ehrlich motiviert, eine Neuerung zuzulassen. Allerdings konnten sie sich nach so vielen Jahren Praxis mit den alten Prozessen ganz einfach nicht vorstellen, dass ein anderes Bedienungskonzept überhaupt möglich, geschweige denn besser sein könnte. Sie tendieren dazu, die um Faktoren bessere Lösung (ohne bösen Willen) komplett zu zerstören.
Die „alten Hasen“, die den Umgang mit dem bestehenden System meisterlich beherrschen, sind besonders anfällig für diesen Denkfehler. Eben weil sie es mit den alten Prozessen zur Exzellenz gebracht haben, fällt es ihnen am schwersten, die neuen Möglichkeiten zu erkennen und Änderungen zuzulassen.
Wir sind in unseren gewohnten Denkstrukturen gefangen. Wir tendieren dazu, die Welt autobiografisch zu interpretieren. Wir erklären uns und anderen die Welt und wie sie funktioniert anhand unseres eigenen Lebenslaufs: „Das ist so, weil ich das schon oft genau so erlebt habe.“ Dieser Bestätigungsfehler ist ein häufiger Grund für das Scheitern – selbst für die ambitioniertesten Veränderungsprojekte.
Veränderungsprozesse kompetent begleiten
Neues zu denken und neu zu handeln lässt sich nicht einfach befehlen. Sonst könnte man jedem Raucher einfach „Hör auf zu rauchen!“ zurufen, um ihn zum Nichtraucher zu machen. Auf der intellektuellen Ebene weiß jeder, dass Nichtrauchen besser ist als Rauchen. Aber so einfach ist das nicht. Veränderungen benötigen Zeit. Aber nur jemandem Zeit zu lassen, ist nicht ausreichend. Der Prozess der Veränderung kann viele Phasen haben:
– Entschluss
– Euphorischer Beginn
– Erste Schwierigkeiten
– Tapferes Beharren
– Tiefe Selbstzweifel
– Verlockungen des Gewohnten
– Entmutigende Rückschläge
– Licht am Ende des Tunnels
– Katastrophen kurz vor dem Ziel
– Erster Erfolg
– Rückfall in alte Muster
All das kann auf dem Weg der Veränderung lauern. Planen Sie die Widerstände Ihrer Belegschaft und Ihre eigenen Widerstände mit in Ihr Veränderungsvorhaben ein. Es wird schlechter werden, bevor es besser werden kann. Diese Weisheit mag jetzt emotionslos bestätigt werden, aber es kommt der Moment, an dem die eigenen Emotionen Alarm schlagen und uns zur Umkehr überreden wollen. Seien Sie gewappnet!