Wohin geht die Reise?

Zu einem neuen Altersverständnis?

Ein langes glückliches Leben? Als Europäer haben wir heute mit die höchste durchschnittliche Lebenserwartung weltweit. Die Menschen werden dabei nicht nur älter, sie bleiben auch länger gesund und der Arbeitswelt erhalten! Die Langlebigkeit wird allerdings von der Gesellschaft, insbesondere von Politikern und Ökonomen, vor allem als „Demografiefalle“ und gesellschaftliche Last wahrgenommen. Doch auch wenn das Alter oft mit körperlichen Einschränkungen verbunden ist und die Gangart langsamer wird, ist dies kein Grund, das Alter als etwas „zu Betreuendes“, Unselbstständiges zu verstehen. Andere Qualitäten, wie etwa Erfahrungswissen, Gelassenheit und Menschlichkeit, sind ein gutes Gegengewicht zur heutigen hyperaktiven, Burn-outs hervorrufenden Gesellschaft. Die in manchen Bereichen bestehenden Diskriminierungen älterer Menschen zugunsten der jüngeren sind jedenfalls nicht gerechtfertigt. Bloß weil die „Altersguillotine“ zum Beispiel bei 65 gesetzt ist, heißt das noch lange nicht, dass Pensionierte nicht mehr gute Arbeit leisten können. 65 bedeutet nicht automatisch alt, heißt nicht automatisch „altes Eisen“. Bis 2050 wird sich die Zahl der über 60-Jährigen verdoppelt haben. Der demografische Wandel wird es in Zukunft nicht mehr erlauben, auf das Know-how der älteren Mitarbeiter zu verzichten.

Einschränkungen im Alter?

Zu den Einschränkungen, mit denen Ältere konfrontiert werden, gehören etwa die auf verschiedenen Ebenen oft noch bestehenden Altersgrenzen für politische, öffentliche Ämter, in Vereinen und für die berufliche Fort- und Weiterbildung. Personalentwicklung hat in Deutschland, Österreich und der Schweiz noch immer eine Altersgrenze, die bei 50 liegt. Wer älter ist, gilt als Relikt, in das es sich nicht mehr zu investieren lohnt. Ein Denkfehler, der fatale Folgen haben wird, wenn Unternehmer, Behörden und Vereine nicht rechtzeitig gegensteuern. Gerade ältere Menschen möchten als Experten in ihrem Bereich anerkannt werden, denn die Lernfähigkeit ist nicht an das Alter gebunden. Zudem ist die gängige Praxis nicht mit der im Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung diskutierten Erhöhung des Rentenalters zur Sicherung der Sozialsysteme zu vereinbaren. Aber auch die für die Beurteilung der Fahrtüchtigkeit alle zwei Jahre geforderten, immer schärferen Gesundheitschecks für über 70-Jährige in der Schweiz bringen außer Papierkrieg, Wartefristen und Kosten nichts. Senioren sind keine Gefahr im Straßenverkehr. Dies belegt eine Studie in den USA, gemäß der Kinder im Auto ihrer Großeltern sicherer sind, weil diese vorsichtiger fahren.

Selbstbestimmt leben?

Die meisten Senioren wollen, wenn möglich, bis ans Lebensende selbst bestimmt in den eigenen vier Wänden leben. Gefragt sind somit Investitionen in neue Wohnformen, wie etwa Wohnen mit Dienstleistungsangeboten nach Bedarf, intergenerationelles Wohnen, aber auch kleinere, bezahlbare, mit einfachen Hilfsmitteln ausgerüstete Wohnungen. Zudem ist die ältere Generation ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Im Tourismus, in der Hotellerie, in der Gastronomie, in der Waren- und Güterindustrie spielt sie als Konsument eine wichtige Rolle. Die Älteren regen zudem Innovationen im Hilfsmittel- und Dienstleistungsbereich an, die auch anderen Bevölkerungskreisen zugutekommen.
Tatsache ist, dass sich bereits heute viele Menschen entschieden haben, auch nach dem 65. Lebensjahr ihren Beruf weiter auszuüben. Dabei handelt es sich allerdings mehrheitlich um selbstständig Erwerbstätige oder Freiberufler, die nicht an die starre „Altersguillotine“ gebunden sind. Das bedeutet, dass noch nicht erschlossene Marktlücken für die Wirtschaft vorhanden sind. Es lohnt sich demnach für alle Menschen, über das Älterwerden nachzudenken, um es zu verstehen.

Mehr Menschlichkeit im Alter?

Im Grunde sind es immer die Verbindungen zu Menschen, die dem Leben seinen Wert geben. Welche Möglichkeiten gibt es für Senioren, zwischenmenschliche Beziehungen zu fördern?
Von den 19 Milliarden Schweizer Franken, die den Wert der jährlich in der Schweiz geleisteten Freiwilligenarbeit ausmachen, tragen die Senioren rund 3,7 Milliarden Schweizer Franken bei, indem sie wichtige Aufgaben in Familie, Vereinen, Clubs, Verbänden und in der Gesellschaft allgemein erfüllen. Um im Alter erfolgreich vital zu bleiben, empfiehlt Dr. Albert Wettstein (Stadtarzt in Zürich von 1983 bis 2011), Beziehungen zu pflegen und bestehende Netzwerke zu selektieren. Dazu gibt es genügend Möglichkeiten, wie zum Beispiel eine Tätigkeit in Vereinen und in Zentren für Gerontologie, eine Mitgliedschaft in Arbeitsgruppen für Senioren oder die Teilnahme an öffentlichen Seminaren und Webinaren. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, ehemaligen treuen Kunden eine kleine, kostenlose Dienstleistung anzubieten. Durch die Teilnahme an Studienprogrammen wie DO-HEALTH werden die Senioren drei Jahre lang motiviert, konsequent verschiedene Muskeln und Gelenke des Körpers zu trainieren, um auch im Seniorenalter Beweglichkeit und psychische Frische aufrechtzuerhalten. Es ist verblüffend, festzustellen, wie schnell neue Netzwerke ohne großen Aufwand entstehen. In generationsübergreifenden Gruppen können junge und ältere Mitglieder ihre ganz spezifischen Stärken am besten einbringen. Die Jungen bringen frisches Wissen in die Gruppe und die ältere Generation bringt ihre immense Erfahrung in die Projekte ein. Die fluide Intelligenz, wozu etwa Gedächtnisleistung und die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung zählen, lässt im Alter nach. Diese Einbußen werden jedoch durch Zugewinne an kristalliner Intelligenz ausgeglichen. Vereinfacht ausgedrückt: Jüngere sind zwar schneller, aber Ältere kennen die Abkürzung!

Sinngebendes Tun?

Gar nichts zu tun, das ist die aller schwierigste Beschäftigung und zugleich diejenige, die am meisten Geist voraussetzt!“ (Oscar Wilde, 1854–1900)

Nebst den Beziehungen ist es wichtig, auch als Senior noch etwas Sinngebendes tun. Braucht es dazu ein intensives persönliches Marketing? Sinngebendes Tun bedeutet auch helfen! Durch freiwillige Leistungen, wie bereits aufgeführt, vermarkten sich die Senioren von selbst, ohne aufwendiges Marketing. Sie werden feststellen, dass auch bei einer Freiwilligenarbeit irgendetwas zurückkommt, sei es eine große Befriedigung, weil die Beteiligten einem Anerkennung zollen, oder auch Einladungen zu exklusiven Veranstaltungen und der Aufbau von neuen Netzwerken mit älteren und auch jüngeren Menschen.
Durch das konsequente Einhalten eines gesunden Lebensstils, beispielsweise durch Maßhalten beim Essen und Trinken und viel Bewegung (Leben), können Senioren ihr Persönlichkeitsprofil festigen (Lernen), was sich letztlich auch positiv auf die Gesellschaft überträgt und Sympathien (Lieben) und Bewunderung verschafft (Lachen). Es ist im Alter nicht unbedingt notwendig, Bücher zu schreiben und intensiv Werbung für sich zu betreiben.

Fazit:

Brauchen wir ein neues, ganzheitliches Altersverständnis für die Gestaltung des Lebensherbstes mit den Senioren als Gewinn für alle? Meine Antwort ist „Jein“: Ja für einige Behörden, Krankenkassen, Bahnen und unzufriedene Senioren. Nein für die überwiegende Mehrheit der Menschen, die Toleranz, Hilfsbereitschaft und Verständnis älteren Menschen entgegenbringen, und das ist gut so!

Literatur
H+I Auslese Kt. Schwyz Nr. 466 vom 17.12.2014, „Editorial“
Sonntags Zeitung vom 30.11.2014, Leserbrief „Rentner steuern SBB-Züge“
Vortrag vom 23.10.2012 in Einsiedeln von Dr. med. Albert Wettstein, „Vital alt werden!“
DO-HEALTH Studienprogramm Zentrum für Alter und Mobilität, Universität Zürich

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